Skip to main content

Frankfurter Rundschau

in Presse

Die deutsch-russische Brückenbauerin

Die gebürtige Russin Julia Zabudkin kam vor 16 Jahren aus der Ukraine nach Deutschland. In Frankfurt hat sie in den vergangenen vier Jahren drei bilinguale Kindertagesstätten gegründet – und dabei die deutsche Bürokratie schätzen gelernt.

Wenn Julia Zabudkin Deutsch spricht, klingt ihre Muttersprache kein bisschen an. Zu hören ist akzentfreies Deutsch, ganz ohne Grammatikfehler. Ungewöhnlich ist das schon, denn in aller Regel hört man es, wenn jemand eine Fremdsprache erst als Erwachsener gelernt hat. Julia Zabudkin war 18 Jahre alt, als sie aus Russland ihrem (ebenfalls russischen) Ehemann nach Dortmund folgte. Kein Wort Deutsch konnte sie damals; dass aber fürs Vorankommen in diesem Land die Sprache sehr wichtig ist, erkannte sie schnell. Vorankommen wollte die junge Frau auf jeden Fall, und so nutzte sie jede Möglichkeit für Begegnungen und Gespräche mit Deutschen.

Zabudkin ist vorangekommen, und zwar in dem Bereich, der ihr besonders am Herzen liegt. In Frankfurt, wo sie mittlerweile mit Ehemann und drei Kindern lebt, hat sie in den vergangenen vier Jahren drei bilinguale Kindertagesstätten in der Stadt aufgebaut, in denen Russisch und Deutsch gesprochen wird. Die studierte Erzieherin ist pädagogische Leiterin dieser drei Kitas, die unter dem Namen „Nesabudka“ („Vergissmeinnicht“) eine Lücke füllen.

So ganz gefüllt wird die Lücke aber nicht, respektive läuft sie über: Denn es gibt viele interessierte Eltern. Aus dem Regal ihres Büros an der Stresemannallee holt Zabudkin einen Ordner, der mit Anträgen gefüllt ist. Im Rhein-Main-Gebiet leben rund 15.000 russische Staatsbürger, schätzt sie. Neben deutschen Eltern, die eine Affinität zu Russland haben und ihren Nachwuchs gerne in einer russisch-deutschen Einrichtung unterbringen möchten, sind es vor allem russische und binationale Familien, die auf eine bilinguale Erziehung ihrer Kinder Wert legen. So wie sie selbst.

Julia Zabudkin ist offen für das Leben und die Kultur in Deutschland. Das sollen ihre Kinder auch sein, aber ohne dass die Sprache der Eltern verkümmert und das Bewusstsein um ihre russische Herkunft verloren geht. Denn diese Sprache ist der Weg zu den Wurzeln der Eltern und der Kultur der Großeltern. Ihrem Nachwuchs wollte die dreifache Mutter „diesen Reichtum“, wie sie es nennt, nicht verwehren. Und anderen, die so wie sie denken, eine fachlich begleitete bilinguale Bildung bieten.

Zabudkin hat ihren Sohn Felix mit ins Büro gebracht. Der Zweijährige spielt mit Autos und fragt seine Mutter immer wieder auf Deutsch. Dann springt er ins Russische, um etwas „ganz Geheimes“ mitzuteilen. Soll ja nicht jeder erfahren, dass er Naschzeug möchte. Julia Zabudkin antwortet ihm in liebevollem Ton auf Russisch. Mutter und Sohn springen von einer Sprache in die andere – ganz selbstverständlich.

Auch aus den Erfahrungen mit ihren eigenen Kindern speist sich ihre Überzeugung, dass – entgegen anderer Positionen hierzulande – die zweisprachige Erziehung sinnvoll und gut ist. Inzwischen kann die 32-Jährige das auch mit eigenen Erfahrungen belegen. Die Söhne Leo und Felix sind zwölf und zwei, Tochter Emilia ist sechs Jahre alt. Die Zabudkins hat ihren Kindern ganz bewusst Kindern Namen gegeben, die die Herkunft nicht erkennen lassen, damit ihnen Ausgrenzungserfahrungen erspart bleiben.

Julia Zabudkin erzählt davon, wie es mit „Nesabudka“ anfing und macht kein Geheimnis daraus, wie überrascht sie darüber war, dass die Stadt ihr Anliegen ernst nahm und die in Trägerschaft eines Vereins geführten Kitas nun institutionell fördert. Dass sie als „einfache Frau“ ohne Rückendeckung ihren Traum von der bilingualen Kita umsetzten konnte, das verdanke sie der deutschen Bürokratie.

„Es gibt Vorgaben und Vorschriften, wenn man ihnen nachkommt, nehmen die Dinge schon ihren Lauf.“ Gegen Bürokratie dieser Art hat die in Kiew aufgewachsene Russin nichts einzuwenden. Sie schätzt an Deutschland, dass es hier nicht wie in Russland abläuft. Dort nämlich wäre sie, ist sich Julia Zabudkin sicher, „ohne Beziehungen und Schmiergeldzahlungen gar nicht so weit gekommen“.

http://www.fr-online.de/frankfurt/die-deutsch-russische-brueckenbauerin,1472798,4510430.html