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FNP – Zweisprachige Kitas immer mehr im Trend

in Presse

Zweisprachige Kitas immer mehr im Trend

Erziehung zwischen russischem Gebäck und deutscher Gründlichkeit

In Frankfurt entscheiden sich immer mehr Eltern, ihre Kinder in zweisprachige Kitas zu schicken. Hier lernen die Kinder das Beste aus zwei Kulturen – so auch im deutsch-russischen Kindergarten Nezabudka in Bockenheim.

Von Silvia Halbmeier

Frankfurt. Ganz leise öffnet Galina die Türe. Galina Korbmacher ist die gute Seele des deutsch-russischen Kindergartens Nezabudka, sie arbeitet in der Küche. Ein kurzes Nicken besagt, ich solle noch kurz im Flur warten, die stellvertretende Leiterin des Kindergartens habe gleich Zeit. Galina lässt sich nicht stören und bereitet weiter den Nachmittagsimbiss für die Kinder vor.

Es ist ganz still während der Mittagsruhe. Ruhe auch für die Erwachsenen von 12.30 Uhr bis 14.30 Uhr. Sie fächert Apfelschnitze auf einen Teller, stellt auf den Tisch daneben eine Schüssel mit Marmelade ab, Tee-, Milch- und Wasserkannen sind noch voll und daneben warten selbst gebackene Oladuschki. Diese in Fett ausgebackenen Kringel riechen verführerisch. Kein Wunder, dass die Drei- bis Sechsjährigen bereits darauf warten, wenn sie zur gemeinsamen Mahlzeit im Speiseraum zusammenkommen.

Gerade mal bis zu den Kniekehlen reichen Erwachsenen die Holzstühle. “Alle Kinder dürfen schlafen, sie müssen es nicht”, meint Alexandra Nikiforov, stellvertretende Leiterin des bilingualen Ganztages-Kindergartens, der im neuen Geschäftsviertel am Frankfurter Westbahnhof untergebracht ist. Die 29-Jährige kam mit ihrer Familie aus Moldawien nach Deutschland, als sie 15 Jahre alt war, studierte Pädagogik an der Goethe-Universität in Frankfurt und absolvierte schon ihr Praktikum hier. Den ersten von drei deutsch-russischen Kindergärten eröffnete der Verein Slowo vor fünf Jahren unter Leitung von Julia Zabudkin. “Nezabudka” heißt übersetzt “Vergiss-Mein-Nicht”, denn die erste Zeit ohne die Eltern soll den Kindern in guter Erinnerung bleiben. Slowo bedeutet “Wort” auf Deutsch. Die Mitglieder des Vereins wollen vor allem die russische Sprache und Kultur pflegen.

Neue Einrichtungen

Alle zweisprachigen Kindergärten in Frankfurt werden von freien Trägern organisiert. Zu den ältesten zweisprachigen Kindergärten zählt der deutsch-italienische Kindergarten Pinocchio, der in den 70er-Jahren gegründet wurde. In den vergangenen zwei bis drei Jahren kamen viele neue zweisprachige Betreuungseinrichtungen dazu, was sicher auch dem Arbeitsmarkt in Frankfurt geschuldet ist.

“Unsere Kinder kommen aus verschiedenen Stadtteilen und auch von außerhalb – unsere Warteliste ist lang”, meint Nikiforov und fügt schmunzelnd hinzu “Wir haben russisch-deutsche Familien, russisch-bulgarische und russisch-amerikanische – eine bunte Mischung also.”

Einige der Kinder kommen auch aus deutschen Familien, die aus Ostdeutschland zugezogen sind und die russische Sprache pflegen wollen oder russische Geschäftspartner oder Freunde haben. Andere überzeugt das pädagogische Konzept des Kindergartens. Eines der wichtigsten Ziele ist es, das Beste aus der russischen und das Beste aus der deutschen Pädagogik zusammenzuführen. In der russischen Pädagogik wird viel Wert auf positive Gemeinschaft in der Gruppe gelegt und geordnete Tagesabläufe, in der deutschen Pädagogik werden auch die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Kinder berücksichtigt. Insgesamt beherbergt der Kindergarten 40 Kinder, darunter sind auch zwei behinderte Kinder. In diesem Jahr sind die “Kurzen” nach ihrem Alter in drei Gruppen aufgeteilt: Die Kleinsten mit drei bis vier Jahren bilden die Spatzengruppe, die etwas Älteren von dreieinhalb bis fünf Jahren kommen in die Sonnenblumengruppe und die Ältesten mit vier bis sechs Jahren sind die Schmetterlingsgruppe.

In jeder Gruppe stehen zwei Erzieherinnen zur Verfügung: Eine, die nur Russisch mit den Kindern spricht und eine Mitarbeiterin, die nur Deutsch spricht. Um die behinderten Kinder bestmöglich zu integrieren, steht außerdem eine Ergotherapeutin zur Verfügung.

Russisch und Deutsch

Natürlich probieren die Kinder auch aus, ob sie mit der Russin Deutsch oder der deutschen Erzieherin Russisch sprechen können. Mit dem Kind aus der russisch-amerikanischen Familie sprach die Erzieherin anfangs nur Englisch, bis sie eine Beziehung zu dem Kind aufgebaut hatte und führte sie dann an die deutsche Sprache heran. Wichtig ist bei der sogenannten Immersionsmethode, dass maximal zwei Sprachen mit dem Kind gesprochen werden und jeder Pädagoge in einer Sprache mit dem Kind spricht. “Unsere Kinder bringen den Erzieherinnen auch manchmal Begriffe bei, wenn sie etwas nicht verstehen. Dabei lehrt das Kind und ist Expertin und die Erzieherin hat auch Spaß dabei, ein neues Wort zu lernen”, lächelt sie. Montags kommen die Vorleser Schenja und Natascha, manchmal liest auch Alexandra den Kindern vor der Mittagsruhe noch eine Geschichte vor. Dienstags ist die Kreativwerkstatt – die Kinder können aus drei Angeboten wählen. Das wurde in diesem Jahr erstmals eingeführt, um den Kindern über vier Wochen Zeit zu geben, sich mit einem Thema zu beschäftigen und den Prozess erleben zu können. Zur Wahl steht ein Märchenprojekt, alles rund ums deutsche Märchen Hänsel und Gretel. Momentan basteln sie Hexenhäuschen aus Plätzchen, Gummibärchen und Dominosteinen, eine Gruppe bastelt Roboter aus Papier und eine Gruppe lernt im Gymnastikraum einen kleinen russischen Tanz. In die vierte Gruppe kommen alle Nachzügler, die sich zu spät angemeldet haben oder sich nicht entscheiden konnten, und sie können dort frei spielen. Donnerstags ist Ausflugstag und freitags steht Sport auf dem Programm.

Neujahrsfest wird gefeiert

Heute proben zwei Erzieherinnen mit Eltern für das Neujahrsfest das russische Märchen “Väterchen Frost und seine Enkelin Snegurotschka”, deshalb enden die Gruppen ausnahmsweise etwas früher. Am 16. Dezember feiert der Kindergarten das vorgezogene Neujahrsfest, eigentlich wird es am 31. Dezember gefeiert. Das Stück ist eine Kombination aus russischen und deutschen Märchen und variiert von Jahr zu Jahr etwas.

In diesem Jahr textete es Alexandra und übernimmt auch die Regie. Väterchen Frost wird von der bösen Schneekönigin entführt und gefangen gehalten. Die Kinder müssen, um ihn zu befreien, verschiedene Aufgaben lösen. Dabei treffen sie unterwegs auf verschiedene Märchenfiguren wie den Hasen aus einem russischen Märchen und singen und tanzen mit ihm. Auch das Rotkäppchen braucht Hilfe beim Plätzchenbacken für die Oma. Um diese Aufgabe zu lösen, backen die Kinder schon die Plätzchen in der Woche zuvor und singen dazu gemeinsam das Lied “Oh, es riecht gut!”. Der Gestiefelte Kater braucht etwas Organisationshilfe für die Weihnachtsparty.

Ihm bringen die Kinder mit Begeisterung das Singen und Tanzen bei. Schon in der Vorbereitung können so die Erzieherinnen die unterschiedlichen kulturellen Facetten, das Fest zu feiern, aufgreifen.

Für die Kinder ist der Unterschied nicht wichtig, er wird ganz selbstverständlich gelebt. In der einen Gruppe wird Väterchen Frost gefeiert und der Freund oder die Freundin in der Gruppe dort drüben feiert Weihnachten. So können spielerisch und ungezwungen die landestypischen Gewohnheiten in den Alltag eingebunden werden, und die Kinder lernen, Fremde nicht mehr als Fremde zu sehen, sondern als etwas anzunehmen, was neu ist und spannend. Oh, und diesen Duft der Oladuschki von Galina, den werden die Kinder dieses deutsch-russischen Kindergartens sicher nie vergessen.

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