Skip to main content

Zwei Jahre gelebte und gelungene Integration

in Presse

 – die deutsch-russische Kindertagesstätte Nezabudka in Bockenheim feiert Geburtstag

Angela Merkel hat es auf ihrer Bildungsreise leider knapp verpasst: Am 6. September 2008 feiert die erste deutsch-russische Kindertagesstätte „Nezabudka“ (Vergißmeinnicht) in Frankfurt-Bockenheim ihren zweiten Geburtstag. Im Mittelpunkt des Festes für Kinder, Eltern, Erzieherinnen, Förderer und Freunde der Kita steht ein buntes Programm von und für die Kinder. Als Sahnehäubchen winkt sogar der Besuch eines echten Feuerwehrautos.

Dieser Geburtstag ist eine ideale Gelegenheit für einen Rückblick auf zwei spannde Jahre des Aufbaus, des Zusammenfindens von Erzieherinnen, Kindern und Eltern und der erfolgreichen Arbeit von Nezabudka in den hellen und großzügigen Raumen an der Solmsstraße. Seit die Kita im September 2006 auf Initiative ihrer heutigen Leiterin, Diplom-Sozialpädagogin Julia Zabudkin, und mit Unterstützung des Trägervereins Slowo e.V., die Pforten öffnete, nutzen 40 Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren in zwei altersgemischten Gruppen und einer Vorschulgruppe das Ganztagsangebot der Kita. 24 von ihnen stammen aus deutsch-russischen Partnerschaften, vier Kinder kommen aus Familien, in denen zu Hause kein Russisch gesprochen wird, vier Kinder aus russlanddeutschen Familien und acht Kinder aus einem Elternhaus mit zwei russischsprachigen Eltern. Je zwei erfahrene Vollzeitkräfte pro Gruppe und eine Integrationskraft betreuen die Kinder, die Hälfte von ihnen mit russischer, die andere Hälfte mit deutscher Muttersprache.

„Wie die lange Warteliste von über zweihundert Interessenten aus ganz Frankfurt für einen Kita-Platz bei Nezabudka zeigt, entspricht unser Konzept nicht nur dem besonderen Bedarf der über 15.000 hier lebenden russischsprachigen Menschen und deutschstämmigen Übersiedler aus der ehemaligen Sowjetunion,“ ist die Leiterin von Nezabudka, Julia Zabudkin, überzeugt, „Nezabudka trifft auch den Nerv der Zeit und antwortet auf neue Anforderungen an die Vorschulerziehung in einer Zeit von PISA, Ausbau der Kinderbetreuung und der Debatte darüber, wie sich der Schulerfolg von Kindern in Deutschland verbessern lässt.“

Zentrales Leitmotiv des innovativen Konzepts sei das Thema Integration, das gleich in fünffacher Hinsicht die Arbeit von Nezabudka prägt.

Zum einen versteht sich die bilinguale Kita als Ort der Integration von zwei gleichwertigen Sprachen in den Alltag der Kinder. Dank der Immersionsmethode können die Kinder in allen Situationen zwanglos ins Sprachbad beider Sprachen „eintauchen“. Das Besondere daran: Durch ein Projekt der Universität Helsinki werden sowohl die Sprachentwicklung der Kinder als auch die Spracharbeit der Erzieherinnen laufend wissenschaftlich beobachtet, ausgewertet und optimiert.

Zum zweiten bedeutet Integration hier auch Integration durch Bildung. Nezabudka setzt – ähnlich wie die PISA-Gewinner Finnland oder Schweden – auf eine Vorschulerziehung mit dem Anspruch, auch den Kleinsten schon umfassende Bildung zu ermöglichen. Das umfassende Bildungskonzept setzt auf die Entfaltung der Kreativität, den Erwerb von „Weltwissen“ und die gezielte Entwicklung der motorischen Fertigkeiten, sieht aber auch die Bildung emotionaler Ausdrucksfähigkeit und eines ausgewogenen Sozialverhaltens als Schwerpunkte. Verwirklicht wird das Konzept durch Angebote in musikalischer Früherziehung, Turn- und Schwimmunterricht (geplant) und Kunsterziehung, Anlage und Pflege eines eigenen kleinen Gartens, sowie übergreifende Projektarbeit mit Themenschwerpunkten wie Familie, Märchen, Theater oder dem Programm „Faustlos“. Unterstützt werden die Erzieherinnen der Kita bei der Umsetzung des Angebots auch durch externe Fachkräfte.

Zum dritten verwirklicht Nezabudka die Integration von besonders föderbedürftigen Kindern beispielsweise mit Entwicklungsverzögerungen oder Sprachschwierigkeiten. Eine eigene Integrationskraft kümmert sich um ihre Belange, ihre Förderung und Eingliederung.

Viertens liegt die Grundidee von Nezabudka darin, das Beste und Bewährte aus der westeuropäischen und der russischen Tradition der Vorschulerziehung zu integrieren. Aus der rus­sischen Vorschulpädagogik stammen u.a. die Einführung fester Ruhe- bzw. Schlafzeiten für alle Kinder, die Vorbereitung auf die Schule als Ziel der Kindergartenzeit, gemeinsam gefeierte Feste, bei denen die Kinder schon früh selbst zu Akteuren werden. Aus der west-europäischen Pädagogik übernommen wurden Elemente wie das Freispiel als wichtiger Bestandteil des Tagesablaufs, tages- und wochenübergreifende Projektarbeit, Verwendung von Montessori-Materilien, Portfolio-Arbeit sowie – als zentrale Leitlinie – Mitbestimmung und Partizipation der Kinder bei Planung und Umsetzung des Tagesablaufs und der Inhalte.

Ein fünfter Aspekt betrifft die Integration der Kita in den Stadtteil, seine Angebote und Ein­richtungen und die Stadt Frankfurt im Ganzen. Kooperationen mit anderen Bockenheimer Kindergärten, der Stadtteilbücherei, dem Rebstockbad, der Frühförderstelle Rödelheim, anderen bilingualen Kitas in Frankfurt und dem IAF e.V., die Beteiligung an stadtübergreifenden Veranstaltungen wie z.B. der Familienmesse sind schon umgesetzt oder in Vorbereitung.

„Für die Kinder soll der klar strukturierte Tagesablauf, in dem aktive und ruhige Phasen einerseits bzw. angeleitete Gruppenaktivitäten und Freispiel andererseits sich abwechseln, Orientierung bieten und gleichzeitig ihre vielfältigen Bedürfnisse aufgreifen“, fasst Julia Zabudkin zusammen. Eine zentrale Rolle spiele dabei auch die klare Gruppenzugehörigkeit der Kinder, die Geborgenheit und stabile Bindungen vermitteln soll, und elementare Voraussetzung für persönliche Entwicklung und Lernen sei. Auch gezielte Sprachförderung in Deutsch und Russisch, tägliches Spiel an der frischen Luft bei jedem Wetter und die Erziehung zur Selbständigkeit würden hier ganz groß geschrieben. Ergänzt wird das Angebot in der Kita durch Ausflüge zu Museen, Theaterstücken, aber auch in die Natur, z.B. in den Stadtwald, in den Grüngürtel oder zur Streuobstwiese, so die Leiterin weiter.

Übergreifendes Ziel sei es, die kleinen Menschen auf ihrem Weg der individuellen Entfaltung zu integren, starken, und zugleich sozial zugewandten Persönlichkeiten zu begleiten. Die Kinder könnten zudem zwei Sprachen, zwei Kulturen und Denkweisen kennenlernen und so frühzeitig Offenheit, Neugier und Toleranz entwickeln, so Julia Zabudkin. Kinder aus bilingualen Partnerschaften und aus rein russischsprachigen Familien erhielten die Möglichkeit, ihre (Doppel-)Identität und ihr Selbstwertgefühl zu festigen und – dies ist dem Team der Kita besonders wichtig – alle Kinder sollen sich emotional geborgen und sicher fühlen.

Bei all dem dürfen natürlich Spaß und Freude nicht zu kurz kommen. Dafür sorgen nicht zuletzt auch die gemeinsam gefeierten Feste, die Nezabudka mit den Kindern und ihren Eltern in russischer Tradition u.a. zu Feiertagen wie Muttertag / Vatertag, Erntedank, der russischen Butterwoche, Weihnachten, dem Sommer gemeinsam vorbereitet und begeht.

„Das Resümee der ersten zwei Jahre ist aus unserer Sicht durchweg positiv“, schlussfolgert Leiterin Julia Zabudkin. Die Umsetzung des ehrgeizigen Konzepts im Alltag sei gelungen, erste Erfolge bei der Erreichung der selbst gesetzten Ziele zeigten sich. Die Zweisprachigkeit konnte erkennbar bei allen Kindern gefestigt bzw. angelegt werden. Zufriedene Kinder, die gerne ihren Kindergarten besuchen und sich hier zu Hause fühlen, sprechen ebenfalls für sich. „Eine Umfrage unter den Eltern vom Frühsommer 2007 ergab hohe Zustimmung zu unserer Arbeit“, wie Julia Zabudkin berichtet. Auch beim alle zwei Jahre ausgeschriebenen Bildungskitapreis der Stadt Frankfurt wurde die junge Kita Nezabudka bereits im ersten Jahr ihres Bestehens mit einem kleinen Preis für die Teilnahme ausgezeichnet.

Doch Nezabudka ruhe sich nicht auf dem Erreichten aus: Die Mitarbeiterinnen verstehen sich als Teil einer lernenden Organisation, die die Umsetzung der gewählten Ziele immer wieder kritisch prüft, veränderten Möglichkeiten und Anforderungen, neuen pädagogischen Erkenntnissen sowie Impulsen der Kinder und Eltern anpasst und zu verbessern sucht.

Ein Geburtstag ist auch eine gute Gelegenheit für einen Ausblick auf die Zukunft: Die Erweiterung des Angebots in Frankfurt ist geplant und ein Stück weit gelungen. Ein schönes Geburtstagsgeschenk für das Team von Nezabudka ist dabei die bereits im Juli 2008 erteilte finanzielle Zusage der Stadt Frankfurt für die Eröffnung eines zweiten deutsch-russischen Ganztagskindergartens für 44 Kinder von drei bis sechs Jahren sowie eine Krippe für weitere 11 Kinder. Die Suche nach geeigneten Räumen und Mitarbeitern läuft schon auf Hochtouren.

Slowo e.V., Leitung, Förderverein und Elternbeirat von Nezabudka machen sich überdies derzeit stark für die Einrichtung einer deutsch-russischen Begegnungsklasse an einer Frankfurter Grundschule, ebenfalls im Rahmen eines integrierten Ganztagskonzepts. Auch diese Pläne stießen auf positive Resonanz beim Stadtschulamt Frankfurt, so dass bereits Gespräche über die Umsetzung dieser Idee mit der Dahlmannschule im Frankfurter Ostend geführt werden. Wenn sich alle Seiten einig werden, startet das Angebot mit dem Schuljahr 2009/ 2010. Gerade noch rechtzeitig: Denn dann erreicht ein Teil der Nezabudka-Kindergarten-kinder der „ersten Generation“ das Schulalter und könnte so nahtlos seinen deutsch-russischen Bildungsweg fortsetzen.

(Elisabeth Richter)

Information / Kontakt:

Julia Zabudkin, Dipl.-Sozialpädagogin, Leiterin der Kindertagesstätte Nezabudka,

Solmsstr. 10 A, 60486 Frankfurt
Telefon: 069-71916153
Email: kindergarten@nezabudka.de

Ein ausführliches Interview mit Julia Zabudkin zu Geschichte, Konzept und Zukunft von Nezbudka finden Sie ab 4. September 2008 unter www.nezabudka.de .